Artillerie
Neben der Schlagkraft der schweren Infanterie gehörte eine weit entwickelte technische Ausstattung zu den Stärken der römischen Armee. Leichte Pfeilgeschütze wurden sowohl als Angriffs- als auch als Verteidigungswaffe eingesetzt und von Legionen und Auxiliareinheiten in großer Zahl mitgeführt. Die bekannten Funde und Darstellungen reichen von ganz leichten Geschützen, die von einem Mann bedient werden können über mobile Geschütze, die auf Karren montiert wurden bis hin zu Großgeschützen von 10 m Höhe und mehr. Solche schweren Geschütze kamen nur bei Belagerungen zum Einsatz und wurden vor Ort von den Technikern der Legion errichtet. Aus logistischen Gründen wurden in der Regel nur die benötigten Metallteile mitgeführt, während Holz für die Konstruktion und Steine für die Munition vor Ort gewonnen wurden.
Bei der überwiegenden Mehrzahl römischer Geschütze handelte es sich um so genannte Torsionswaffen. Sie ähneln rein äußerlich auf den ersten Blick übergroßen Armbrüsten, verfügen jedoch nicht wie diese über einen elastischen Bogen. Stattdessen wird die Sehne zwischen zwei getrennten Spannarmen aufgespannt, die in verdrillten Seilbündeln stecken. Auf dieser Eigenschaft basiert auch der Begriff "Torsionsgeschütz" (lat. tormentum) von tordere für "verdrillen" oder "verdrehen". Beim Spannen der Waffe wirken die Arme als Knebel und verdrillen die vorgespannten Seilbündel noch weiter. Wird der Schuß ausgelöst, bewegt die Torsionsenergie der Seilbündel die Spannarme schlagartig nach vorn, und die so beschleunigte Sehne schleudert das Geschoss vorwärts. Dabei erfolgt ein gezielter, direkter Schuss und kein indirekter Wurf. Die Torsionsmechanik ist physikalisch optimal, weil sich so mit vergleichsweise wenig Bedarf an Material und Raum die größtmögliche Menge an kinetischer Energie mechanisch speichern läßt.
Die I. ROEMERCOHORTE OPLADEN e. V. verfügt mit ihrer Ballista, die in ca. dreijähriger Arbeit von Mitgliedern des Vereins gebaut wurde, über eine der bisher größten nachantik gebauten und regelmäßig im Einsatz befindlichen Torsionswaffen. Die Rekonstruktion folgte den überlieferten Angaben des Technikers Vitruvius (de architectura X,11f.), der im 1. Jh. v. Chr. in der Armee Caesars vermutlich solche Geschütze selber konstruierte. Das schwere Geschütz ist auf Rundmunition von 8,5 römischen Pfund (= Steinkugeln von ca. 2,8 kg Gewicht) ausgelegt und wiegt knapp eine Tonne. Die Maximalreichweite für derartige Geschütze lag nach antiken Berichten und heutigen Berechnungen bei etwa 700 m, wobei die Durchschlagskraft und Treffgenauigkeit eines Schusses mit zunehmender Distanz stark abnahmen. Die im Kampf eingesetzte effektive Reichweite lag daher wahrscheinlich bei etwa 300 bis maximal 350 m. Sie befanden sich damit bei Belagerungen in jedem Fall außerhalb der Reichweite feindlicher Bogeschützen und konnten somit weitgehend ungefährdet aufgebaut und bedient werden. Das Geschütz unseres Vereins wird aus Sicherheitsgründen allerdings nur über geringere Distanzen bis etwa 130 m verwendet.
Eine Legion verfügte vermutlich über 10 solcher Geschütze, die in Batterien aufgestellt wurden und deren Aufgabe es war, schwache Teile einer Festung oder ihrer Innenbebauung zu zerstören. Ein gezielter Einsatz gegen Personen ist aufgrund der geringen Schussfrequenz und mangelhaften Möglichkeit zur seitlichen Korrektur der Schussbahn nicht möglich. Ebensowenig kann mit kleinen Steinkugeln eine massive mauerbrechende Wirkung gegen Festungsmauern erreicht werden. Der psychologische Effekt eines Dauerbeschusses mit Steinkugeln ist dagegen nicht zu vernachlässigen.
Ebenfalls zum Bestand der I. ROEMERCOHORTE OPLADEN e. V. gehört der Nachbau eines Scorpios nach Funden und Beschreibungen, die auch aus der Zeit des Vitruvius' und aus dem 1. Jh. n. Chr. stammen. Dieses leichte Pfeilgeschütz wird mit hölzernen Pfeilen von 60 cm Länge, 2 cm Durchmesser und etwa 200 g Gewicht betrieben, die über eine geschmiedete Eisenspitze verfügen. Geschütze dieser Größe erreichten eine maximale Reichweite von 300 m, während die effektive Gefechtsdistanz bei 120 bis 150 m lag. Das Oberteil des Geschützes ist drehbar über dem Fuß montiert, so dass zumindest auf kurze Distanzen eine präzise Ausrichtung auch zum Kampf gegen Personen möglich ist, denen die hohe Geschwindigkeit des Geschosses keine Ausweichmöglichkeit lässt. Versuche unseres Vereins konnten bislang zeigen, dass die Geschosse auf 50 m Entfernung in der Lage sind, 2 mm starkes Eisenblech zu durchbrechen, womit sie auf dieser Distanz selbst gegen gepanzerte Gegner tödlich wären.
Leichte Pfeilgeschütze konnten ebenfalls in Batterien aufgestellt werden und sowohl in der Feldschlacht als auch bei Belagerungen als Angriffs- oder Verteidigungsgeschütz zum Einsatz kommen, um beispielsweise durch effektives Sperrfeuer einen Feind am Passieren einer Brücke oder am Besetzen einer Verteidigungsposition zu hindern. Möglicherweise führte jede Centurie einer Legion oder Auxiliareinheit ein solches Geschütz mit sich, das entweder, wie das unseren Vereins, zerlegbar war, oder auf einem Wagen montiert wurde.
Gegen Ende des Jahres 2000 wurde in einer Xantener Kiesgrube eine besonders kleine frühkaiserzeitliche Torsionswaffe gefunden, die unter dem lateinischen Namen manuballista bekannt wurde. Dieses Geschütz konnte von einer Person bedient werden und wurde vermutlich in denselben Einsatzbereichen wie ein Scorpio benutzt. Durch die einzigartigen Fundumstände sind der hölzerne Spannrahmen und Teile der Pfeife und des Schiebers erhalten geblieben. Die Vollständigkeit dieses bislang einzigartigen Fundes erlaubte eine sehr detailgetreue Rekonstruktion von zwei Geschützen, die durch Mitglieder der I. ROEMERCOHORTE OPLADEN e. V. im Frühjahr 2007 fertiggestellt wurden. Auch diese Torsionswaffen sind voll funktionsfähig, erreichen Distanzen von 50 m und werden wie Ballista und Scorpio fachgerecht erläutert und vorgeführt. In Schussversuchen waren die Geschosse der manuballista in der Lage, Stahlblech von 1 mm Stärke zu durchbrechen.